Sachverhaltsaufklärung vor Ausspruch
einer Verdachtskündigung
Frankfurt a. M./Berlin. Will ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter
wegen des Verdachts einer schweren Verfehlung oder Straftat kündigen
(Verdachtskündigung), muss er den Sachverhalt intensiv aufklären und alle
Personen befragen, die an dem Vorfall beteiligt waren oder über ihn Kenntnis
haben. Dies geht aus einem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 17.
Juni 2008 hervor (AZ: 4/12 Sa 523/07).
Eine Klinik entließ eine langjährige Hebamme aufgrund des
Verdachts der Entwendung von Schmerzmitteln, die bei Geburten regelmäßig
verabreicht werden. Deren unsachgemäße Anwendung kann zu einer Suchterkrankung
führen. Nachdem der Eindruck entstanden war, die Mitarbeiterin verbrauche
überdurchschnittlich viel eines bestimmten, besonders starken Schmerzmittels,
wurden mit ihr mehrfach Gespräche über die Unregelmäßigkeiten geführt. Als dann
festgestellt wurde, dass eine Patientin ein ihr verschriebenes starkes
Schmerzmittel nicht erhalten hatte und Ampullen eines anderen, schwächeren
Beruhigungsmittels fehlten, sprach der Arbeitgeber die Hebamme darauf an. Sie
erklärte, sich nicht mehr erinnern zu können. Der Arbeitgeber befragte nur einen
weiteren Mitarbeiter zu dem Vorfall und untersuchte stichprobenartig
Patientenakten und Eintragungen in dem Betäubungsmittelbuch, aus denen sich
weitere Unstimmigkeiten ergaben. Nach einer weiteren Anhörung der Mitarbeiterin,
bei der diese lediglich einräumte, mehr Schmerzmittel als andere zu
verabreichen, kündigte der Arbeitgeber fristlos wegen des Verdachts der
Entwendung von Schmerzmitteln. Mit ihrer Klage wandte sich die Mitarbeiterin
gegen die ausgesprochene Kündigung.
Mit Erfolg. Nach Ansicht der Richter sei für eine
Verdachtskündigung erforderlich, dass die Verdachtsmomente auf objektiven
Tatsachen beruhten und diese geeignet seien, das Vertrauen in die Redlichkeit
des Arbeitnehmers zu zerstören. Ferner müsse der Arbeitgeber alle zumutbaren
Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben. Blieben nach
der erforderlichen Anhörung des Arbeitnehmers Zweifel, gehöre zu den gebotenen
Aufklärungsmaßnahmen auch die Befragung der Personen, die an dem Vorgang
beteiligt waren oder Kenntnisse über diesen haben. Geprüft werden müsse
insbesondere, ob nicht andere Personen als Täter in Betracht kämen. In diesem
Fall sei nicht festgestellt worden, ob die Mitarbeiterin nach den
Kritikgesprächen nur die Patientenunterlagen nicht korrekt geführt, sondern auch
die dort angegebenen Mengen des starken Schmerzmittels entwendet oder selbst
konsumiert habe. Somit bestehe mangels konkreter Indizien auch kein hinreichend
sicherer Tatverdacht. Feststellbar seien nur Differenzen zwischen den
Eintragungen im BTM-Buch und in den Patientenakten, nicht aber deren Ursachen.
Mit den vorliegenden Indizien könne jedenfalls kein schwerwiegender
Unterschlagungsverdacht gegen die Mitarbeiterin begründet werden, sondern
allenfalls eine entsprechende spekulative Vermutung.
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