Praktikum ohne überwiegenden
Ausbildungsanteil ist kein Praktikum
Kiel/Berlin. Bei einem Praktikum steht der Ausbildungszweck im
Vordergrund. Überwiegt in einem als Praktikum bezeichneten Vertragsverhältnis
die reine Arbeitsleistung, so ist der Betroffene ein normaler Arbeitnehmer, kein
Praktikant, und auch als solcher zu vergüten. Das besagt das Urteil des
Arbeitgerichts Kiel vom 19. November 2008 (AZ: 4 Ca 1187d/08).
Nach einer berufsvorbereitenden Maßnahme in einem Altenheim
schloss ein Mann mit dem Betreiber des Heimes, einem Zweckverband, eine als
„Praktikantenvertrag“ bezeichnete Vereinbarung. Die Laufzeit betrug ein knappes
Jahr, die wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden. Die monatliche Vergütung belief
sich auf 200 Euro. Ergänzend unterschrieben beide Parteien eine
Stellenbeschreibung für Wohnbereichshelfer. Der Arbeitgeber stellte ihm eine
18-monatige Ausbildung zum Altenpflegehelfer in Aussicht, wenn er sein Praktikum
erfolgreich absolviert hätte.
Nach Ende des Praktikums, in dem der Mann als
Wohnbereichshelfer gearbeitet hatte, blieb dieses Angebot jedoch aus. Der Mann
klagte auf die Zahlung der üblichen Vergütung eines Wohnbereichshelfers
rückwirkend für die Dauer seines Praktikums, insgesamt rund 10.300 Euro.
Das Gericht gab ihm Recht. Die Richter betrachteten das
abgeschlossene Vertragsverhältnis als Arbeitsverhältnis. Nicht auf die
Bezeichnung („Praktikantenvertrag“) komme es an, sondern auf die praktische
Durchführung. De facto hatte der Mann als Arbeitnehmer in dem Betrieb
gearbeitet, nicht als Praktikant. Der Arbeitgeber konnte demgegenüber nicht
darlegen, welche Tätigkeiten und Qualifikationen der Mann hätte erlernen müssen
und wie ihm diese vermittelt worden seien. Die Richter störten sich außerdem an
dem Missverhältnis zwischen der Länge des insgesamt 17-monatigen Praktikums und
der 18 Monate dauernden Ausbildung zum Altenpflegehelfer. Vor diesem Hintergrund
sahen sie eine monatliche Vergütung von 200 Euro als sittenwidrig und als
Lohnwucher an.
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