Erbenhaftung: Grenzen der
Erkundigungs- und Ermittlungspflicht des Erben bei Aufnahme eines Inventars
Ein Erbe muss eine Inventarliste über das Erbe erstellen, wenn
so genannte Nachlassgläubiger, also Gläubiger des Erblassers, dies verlangen.
Dabei wird aber die Ermittlungspflicht des Erben unterschiedlich beurteilt. Das
Oberlandesgericht Hamm (Entscheidung vom 4. Juni 2010; AZ: I-15 Wx 68/10,
15 Wx 68/10) entschied, dass den Erben bei der Aufnahme eines
Inventars eine Verpflichtung, Erkundigungen einzuholen, nur insoweit trifft, als
er konkrete Anhaltspunkte für weitere Nachlassgegenstände hat. Die in Betracht
kommenden Ermittlungen müssen außerdem nach Umfang, Erfolgsaussichten und Kosten
zumutbar sein. Nur vage Anhaltspunkte dafür, dass es weiteres zum Nachlass
gehörendes Vermögen gibt, begründen keine so genannte Ermittlungsobliegenheit.
Der Erbe war ein nichtehelicher Sohn des Erblassers, der zu
diesem kaum Kontakt hatte. Die Stellung als Alleinerbe fiel ihm zu, weil die
Ehefrau des Erblassers und die ehelichen Kinder die Erbschaft ausgeschlagen
hatten. Ein Nachlassgläubiger verlangte die Erstellung einer Inventarliste. Der
Erbe wollte hierfür eine Fristverlängerung, da der Erblasser an mehreren Firmen
beteiligt gewesen sei. Zudem seien die Geschäftsunterlagen von den Töchtern des
Erblassers vor der Erbausschlagung aus den geschäftlichen und privaten Räumen
des Vaters entfernt worden. Herausgabe- und Auskunftsverlangen seien bislang
ohne Antwort geblieben. Als er eine erneute Fristverlängerung beantragte, ergab
sich die Frage, welchen Umfang seine Erkundigungen überhaupt haben müssten. Das
Gesetz regelt diese Frage nicht ausdrücklich. Nach Auffassung der Richter
richtet sich das Ausmaß der Verpflichtung zur Recherche danach, welche Funktion
das Inventarverfahren haben soll und welche Rechtsfolgen unter Umständen damit
verbunden sind. Die Inventarerrichtung dient sowohl den Interessen des Erben als
auch denen der Nachlassgläubiger.
Der Erbe kann durch das Verfahren den Nachlassbestand
dokumentieren und sich so die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung erhalten. Die
Nachlassgläubiger erhalten einen Überblick über den Nachlassbestand und damit
über mögliche Vollstreckungsgegenstände, mit denen die Forderungen der Gläubiger
unter Umständen beglichen werden können. Den Interessen beider Seiten wäre mit
einer ausufernden Ermittlungsobliegenheit des Erben nicht gedient. Der Erbe muss
ein vitales Interesse haben, dass die ihn treffende Verpflichtung hinsichtlich
Anlass und Umfang weiterer Ermittlungen einschätzbar ist. Hinzu kommt, dass der
Umfang der möglichen Ermittlungen nicht zuletzt auch von der finanziellen
Leistungsfähigkeit des Erben abhängig ist. Die Nachlassgläubiger haben hingegen
ein offenkundiges Interesse, dass das Inventar einerseits möglichst vollständig,
andererseits aber auch innerhalb absehbarer Zeit vorgelegt wird. Dem würde es
widersprechen, wenn der Erbe die Errichtung des Inventars mit der Begründung, er
habe mehr oder weniger konkrete Hinweise auf weitere Nachlassgegenstände,
hinauszögern könnte.
Ein angemessener Interessenausgleich rechtfertigt danach
allenfalls die Annahme einer Erkundigungsobliegenheit, die an konkrete
Erkenntnisse über identifizierbare, weitere Nachlassgegenstände anknüpft. Dabei
müssen Erfolg versprechende Erkundigungen nach Art und Kostenaufwand zumutbar
sein. Anknüpfungspunkt kann danach nur ein konkreter Hinweis auf einen
bestimmten Vermögensgegenstand sein, nicht hingegen eine allgemein gehaltene
Information, etwa dass möglicherweise im Ausland weitere Konten oder
Beteiligungen bestehen. Hinzukommen muss, dass die Existenz und die
Nachlasszugehörigkeit des fraglichen Vermögensgegenstandes durch einfache
Nachfrage bei einer identifizierbaren, grundsätzlich zur Auskunft bereiten
Stelle (Grundbuchamt, Handelsregister, sonstige öffentliche Stellen, Banken,
ggf. aber auch Privatpersonen) einigermaßen zuverlässig und in überschaubarer
Zeit zu klären sind. Bei der Erstellung einer Inventarliste sollte man sich
anwaltlicher Hilfe versichern.
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