Umbettung wegen Umzugs?
(dpa/red) Ziehen die nächsten Angehörigen eines Verstorbenen
in eine andere Stadt, wird der Weg zum Friedhof weit. Das Verwaltungsgericht
Ansbach musste entscheiden, ob die Tochter der Verstorbenen diese zurück in ihre
Heimat mitnehmen darf. Das ergibt sich aus einer Entscheidung des
Verwaltungsgerichts (VG) Ansbach vom 3. August 2016 (AZ: AN 4 K 16.00882).
Vor der Wende zieht die Tochter mit ihrer Mutter von der DDR
in die BRD. Als die Mutter 2010 im Westen verstirbt, wird sie dort auf einem
Friedhof in einer Nische für Urnen beigesetzt. 2015 zieht die Tochter,
inzwischen ebenfalls betagt, mit ihrem Ehemann zurück in ihre 270 km entfernte
Heimat und beantragt bei der Friedhofsverwaltung eine dahingehende
Urnen-Umbettung um ihre Mutter auf dem dortigen Friedhof bei sich zu haben. Die
Friedhofsverwaltung lehnt dies ab, sodass die Frage vor dem Verwaltungsgericht
geklärt werden muss.
Der Grundsatz der Totenruhe ist Ausfluss der im Grundgesetz
gewährten unantastbaren Würde des Menschen, die über dessen Tod hinauswirkt. Die
Totenruhe genießt nicht nur höchsten Verfassungsrang, sondern entspricht darüber
hinaus allgemeinem Sittlichkeits- und Pietätsempfinden. Gerät sie in Konflikt
mit dem Totenfürsorgerecht, das als Recht der Hinterbliebenen ebenfalls
verfassungsrechtlich gesichert ist und somit von vorneherein unter dem Vorbehalt
des Sittengesetzes und der Schranken der verfassungsmäßigen Gesetze steht, so
genießt der Schutz der Totenruhe regelmäßig Vorrang.
Die mit der Umbettung verbundene Störung der Totenruhe kann
nach den von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen erstens gerechtfertigt
sein, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten sein ausdrückliches Einverständnis mit
der Umbettung erklärt hat. Fehlt ein solches, kann zweitens auch ein
entsprechender mutmaßlicher Wille beachtlich sein. Die Anerkennung setzt
insoweit voraus, dass zumindest Tatsachen und Umstände gegeben sind, aus denen
der diesbezügliche Wille des Verstorbenen mit hinreichender Sicherheit gefolgert
werden kann. Lässt sich ein Einverständnis des Verstorbenen mit der Umbettung
nicht feststellen, kommt es drittens unter Berücksichtigung aller sonstigen
Umstände des Einzelfalls drauf an, ob das Interesse des
Totenfürsorgeberechtigten an der Umbettung nach allgemeiner Verkehrsauffassung
schutzwürdig ist und seine Gründe so gewichtig sind, dass die Achtung der
Totenruhe zurücktreten muss. Ein wichtiger Grund kann demnach im Einzelfall auch
vorliegen, wenn das Recht auf Totenfürsorge in unzumutbarer Weise erschwert oder
gar unmöglich gemacht wird. Denn in diesem Fall kann auch die Würde des
Verstorbenen, die sich auch auf die Totenfürsorge, wie Grabpflege und
Totengedenken, bezieht, nicht hinreichend zu Geltung kommen. Aufgrund dieses
grundsätzlichen Rangverhältnisses zwischen dem Schutz der Totenruhe und dem
Recht auf Totenfürsorge ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Umbettung
einer einmal beigesetzten Leiche vor Ablauf der Ruhefrist nur aus ganz
besonderen Gründen beansprucht werden kann.
Anhand dessen entscheidet das Verwaltungsgericht gegen das
Ansinnen der Tochter: Einen ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen der Toten,
bei einem Umzug der Tochter auf ihre Totenruhe zu verzichten, konnte die Tochter
nicht nachweisen. Die Mutter sagte lediglich, dass bei einem Umzug zu ihren
Lebzeiten sie mitkommen wolle. Zu einem Umzug nach ihrem Tod äußerte sie sich
nicht. Auch der von der Tochter geltend gemachte Umstand, ihr Recht auf
Totenfürsorge sei durch ihren Umzug in die ca. 270 km entfernte Stadt erheblich
eingeschränkt, begründet keinen wichtigen Grund, welcher der
verfassungsrechtlich geschützten Totenruhe ihrer verstorbenen Mutter vorgehen
würde. Dass die Klägerin aufgrund ihres Umzugs das Grab ihrer verstorbenen
Mutter nicht in einer ihren Bedürfnissen und Wünschen entsprechenden Weise
besuchen und pflegen kann, stellt einen für sie gewichtigen und
nachvollziehbaren Aspekt dar, der sich jedoch gegenüber dem Schutz der Totenruhe
nicht durchsetzen kann. Ein Umzug aufgrund veränderter Lebensumstände - wie
altersbedingter Gesundheitsverschlechterungen oder des verständlichen Wunsches,
den Lebensabend bei den Kindern zu verbringen - stellt für sich genommen
regelmäßig keinen wichtigen Grund für die Umbettung vorverstorbener Angehöriger
dar. Anderenfalls liefe der grundsätzlich und im Regelfall gebotene Schutz der
Totenruhe weitgehend leer. Denn es stellt sich nicht etwa als Ausnahmefall,
sondern als typisches Phänomen dar, dass ältere Menschen, die nicht mehr willens
oder im Stande sind alleine zu leben, ihren bisherigen Wohnsitz aufgeben und
entweder in die Nähe ihrer Kinder oder sonstiger naher Verwandten ziehen oder
sich in eine (vom bisherigen Wohnort ggf. weit entfernt liegende)
Seniorenunterkunft begeben (müssen). Ihr Recht auf Totenfürsorge wird ohne
Überführung der Urne ihrer verstorbenen Mutter nur in einem Maße eingeschränkt,
welches ihr noch zumutbar ist. Dass die Entfernung zwischen ihrem jetzigen
Wohnort und dem Grab ihrer Mutter die Grabbesuche und die Grabpflege gänzlich
ausschließt, hat sie weder vorgetragen noch ist dies sonst ersichtlich. Die
Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass sie altersbedingt oder aus
gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, eine solche Reise
von wenigen Stunden Dauer zu bewältigen. Selbst wenn es ihr nicht mehr möglich
sein sollte, alleine zum Urnengrab ihrer verstorbenen Mutter zu reisen, ist ihr
zumutbar, den Grabbesuch in Begleitung z. B. ihres Sohnes durchzuführen.
Entsprechendes gilt für die Grabpflege, wobei sich die Tochter hierfür
zusätzlich der (Mit-)Hilfe Dritter (etwa einer Friedhofsgärtnerei) bedienen
kann. Der verständliche Wunsch der Klägerin, das Grab ihrer Mutter selbst
pflegen und möglichst oft besuchen zu können, muss daher gegenüber der Totenruhe
der Mutter zurückstehen.
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