Der Besteller kann Mängelrechte nach
§ 634 BGB grundsätzlich erst nach Abnahme des Werks mit Erfolg geltend machen.
In Ausnahmefällen können Mängelrechte nach § 634 Nr. 2 bis 4 BGB ohne Abnahme
bestehen, wenn der Besteller nicht mehr die (Nach-)Erfüllung verlangen kann und
das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist, wofür
allein das Verlangen eines Kostenvorschusses nicht ausreicht. Bringt der
Besteller neben der Vorschussforderung ausdrücklich oder konkludent zum
Ausdruck, dass er ernsthaft und endgültig eine (Nach-)Erfüllung durch den
Unternehmer ablehnt, entsteht ein Abrechnungsverhältnis.
Die auf Restwerklohnzahlung verklagten
Auftraggeber (AG) verlangen widerklagend vom Auftragnehmer (AN) Kostenvorschuss
für Mängel am Terrassenbelag. Die vom AN geleisteten Terrassenarbeiten weisen
erhebliche Mängel auf, die trotz dreier Nachbesserungsversuche nicht beseitigt
wurden. Eine Abnahme erfolgte nicht. Der AN war weiterhin erfüllungsbereit. Mit
Schreiben vom 30.10.2008 lehnten die AG weitere Nachbesserungsversuche ab,
verbunden mit dem Wunsch, das Vertragsverhältnis endgültig zu beenden. Das
Landgericht wies die Klage ab und gab der Widerklage statt. Das Berufungsgericht
bestätigte die Entscheidung und ließ die Revision mit der Begründung zu, dass
bislang höchstrichterlich ungeklärt sei, ob und in welchen Fällen vor Abnahme
Mängelansprüche aus § 634 BGB geltend gemacht werden können.
Der BGH (Urteil vom 19.01.2017 - VII ZR
193/15) hält einen Anspruch auf Vorschusszahlung aus § 634 Nr. 2, § 637 Abs. 3
BGB vor erfolgter Abnahme hierfür nicht begründet! Bislang hatte der VII. Senat
die Frage offengelassen, ob die Mängelrechte aus § 634 BGB schon vor Abnahme
geltend gemacht werden können. In der Rechtsprechung und Literatur werden dazu
unterschiedliche Auffassungen vertreten (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 15.
Aufl. 2015, Rz. 2069 ff. m.w.N.). Der BGH hat sich mit der Entscheidung der
überwiegenden Ansicht angeschlossen, dass der AG die Mängelrechte aus § 634 BGB
grundsätzlich erst nach erfolgter Abnahme des Werks geltend machen könne. In
Ausnahmefällen sei eine Abnahme allerdings weiterhin entbehrlich. Der Senat hat
seine Auffassung u. a. damit begründet, dass dem AG vor der Abnahme
Erfüllungsansprüche und das allgemeine Leistungsstörungsrecht zur Verfügung
stünden, seine Rechte also angemessen gewahrt seien. Einen faktischen Zwang, ein
nicht abnahmereifes Werk abnehmen zu müssen, bestünde daher nicht. Die
"Nacherfüllung" sei schon begrifflich von der "Herstellung" (Erfüllung) zu
unterscheiden. Aus der Vorschrift des § 634a Abs. 2 BGB werde auch ersichtlich,
dass die Abnahme den zeitlichen Wendepunkt ("Zäsur") zwischen Erfüllungs- und
Mängelhaftungsphase markiere, weil die Verjährung der Mängelrechte in den
meisten Fällen mit der Abnahme beginne. Der BGH hielt die Abnahme aber nicht für
ausnahmsweise entbehrlich: Eine Abnahme sei entbehrlich, wenn der AG nicht mehr
Erfüllung verlangen könne und das Vertragsverhältnis in ein
Abrechnungsverhältnis übergegangen sei. Das Recht zur Selbstvornahme sowie der
Anspruch auf Vorschusszahlung lassen den (Nach-) Erfüllungsanspruch des AG aber
grundsätzlich unberührt. Solange der AG noch zum (Nach-) Erfüllungsanspruch
zurückkehren könne, läge noch kein ausschließlich auf Geld gerichtetes
Abrechnungsverhältnis vor. Die Forderung eines Vorschusses könne erst dann zu
einem Abrechnungsverhältnis führen, wenn der AG ausdrücklich oder konkludent zum
Ausdruck bringe, eine (Nach-)Erfüllung vom AN ernsthaft und endgültig nicht mehr
zu verlangen.
Der BGH beendet damit einen intensiv
geführten Meinungsstreit. Sollte ausnahmsweise vor Abnahme des Werks
Kostenvorschuss vom Unternehmer verlangt werden, ist sicherzustellen, dass das
Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist. Auch nach
mehrmaligen erfolglosen Mängelbeseitigungsversuchen behält der Besteller seinen
(Nach-) Erfüllungsanspruch, von dessen Geltendmachung er ausdrücklich Abstand
nehmen muss. Andernfalls besteht das Risiko, dass kein Abrechnungsverhältnis
vorliegt.
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